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Blick in die Geschichte Nr. 145

vom 20. Dezember 2024

Das Gutscheblättle

Friedrich Gutsch und die Karlsruher Nachrichten

von Michael Fischer

Friedrich Gutsch war ein Karlsruher Druckereibesitzer, Mundartdichter und vor allem Verleger der Karlsruher Nachrichten. Angeblich soll der Name Friedrich Gutsch noch 1988 in Karlsruhe so populär gewesen sein, dass er "älteren Leuten" in der Stadt noch ein Begriff gewesen sei, gleichwohl Gutsch zum damaligen Zeitpunkt bereits seit knapp 100 Jahren verstorben war. Unzweifelhaft ist indessen, dass er auch heute noch als ein "genauer Kenner der Karlsruher Atmosphäre" einen eindrucksvollen Einblick in das "Volksleben" Karlsruhes während der Ära Bismarck geben kann. 

Friedrich Gutsch, um 1885

Gutsch wurde am 30. November 1838 als jüngster Sohn des Buchdruckers Friedrich Gutsch senior in Karlsruhe geboren und wuchs in der noch jungen Residenzstadt in einer Zeit der politischen Umbrüche auf - die Revolution von 1848/49 hatte den liberalen Südwesten besonders intensiv erfasst. Nach dem nicht abgeschlossenen Besuch einer höheren Schule nahm Gutsch eine Schreinerlehre auf, musste diese jedoch wenig später aus gesundheitlichen Gründen abbrechen. Anschließend wurde er in der väterlichen Druckerei als Buchdrucker ausgebildet und hospitierte sodann im Verlag seines Onkels, dem Verleger C. R. Gutsch aus Lörrach. Wieder zurück in Karlsruhe, stieg Gutsch in den 1860er-Jahren zusammen mit seinem Bruder in den väterlichen Verlag ein und war als Buchdrucker tätig.

 

Lokalnachrichten und Mundart

1870 gründete er die Karlsruher Nachrichten, das "Specialorgan für Lokalangelegenheiten", wie es im Untertitel hieß. Die Zeitung war eine damals völlig neuartige und einzigartige Mischung aus Kommentaren zur Lokalpolitik, boulevardesken Nachrichten, einem Anzeigenteil sowie Berichten über das Karlsruher Alltagsleben in badischer Mundart.

Die Zeitung erschien zunächst zweimal, ab August 1870 dann dreimal in der Woche, bei einer Auflage von ca. 5.000 Exemplaren. Gutsch war zugleich Verleger, Herausgeber, Chefredakteur und eifrigster Autor der neugegründeten Zeitung. Wie ihr Name schon sagte, beschränkte sich Gutsch auf das lokale Geschehen. Über so manches große, reichsweite Ereignis wurde in den Karlsruher Nachrichten gar nicht berichtet. Dabei verglich er die Karlsruher Bevölkerung mit einer "Familie", die ihren Streit auch am liebsten intern austrage und nicht in der Öffentlichkeit, weshalb die Gründung eines neuen Lokalblatts dringend nötig sei. Mit der Zeit konnte Gutsch über seine Zeitung sogar Einfluss auf die Karlsruher Stadtpolitik nehmen.

Die Karlsruher Nachrichten überzeugten ihre Leserschaft durch eine Redaktion, die den Finger am Puls der Zeit hatte und in der Karlsruher Stadtgesellschaft gut verankert war - allen voran Gutsch selbst. Die größte Popularität erlangte die Zeitung durch die mundartliche Begleitung der unterschiedlichsten Karlsruher Alltagsbegebenheiten - oft in lyrischer Form, am bekanntesten sicherlich in der fiktiven Figur des "Partikulier C. Biermaier und seiner Ehehälfte Caroline geb. Landgräbler". Diesen ließ Gutsch in selbst verfassten Leserbriefen an die Redaktion die Karlsruher Stadtgeschehnisse kommentieren. Gutsch war als "trinkfester, zu jeder Tag- und Nachtzeit zu Scherz und Schabernack gleich bereiter Kamerad [bekannt], als ein genauer Kenner und unvergleichlicher Nachahmer der mancherlei Stimmen des Marktes und der Straße, der […] auch den galligsten Zuhörer zu lebensgefährlichem Gelächter hinzureißen verstand". Gutsch schaute den Menschen nicht (nur) ‚aufs Maul', sondern auch "tief ins Herz". Deshalb nannten sie ihn liebevoll "Gutschefritzle" oder "Blättleschreiwersmann" und die Karlsruher Nachrichten hießen im Volksmund schlicht das "Gutscheblättle".

In ganz typischer Weise berichteten die Karlsruher Nachrichten  - beinahe im Stil des Boulevards - 1886 vom Tod des deutschlandweit bekannten und vielgelesenen Karlsruher Dichters Joseph Victor von Scheffel: Ganz als sei der Leser ‚live' dabei, begann die Berichterstattung aus dem "Studierzimmer" Scheffels in dessen Vaterhaus in der Stephanienstraße, in dem der Verstorbene aufgebahrt gewesen war, führte über den Besuch von Großherzog Friedrich I., der den Angehörigen "[h]öchstpersönlich seine Ant[h]eilnahme" aussprach und begleitete anschließend den "Leichenzug" von der Stephanienstraße zum Hauptfriedhof. Der Leichenzug war von einer Größe, wie bis dahin "nur selten in […Karlsruhe] zu sehen" gewesen war. Am Trauermarsch und der Beerdigung nahm das gesamte who is who der badischen Residenzstadt teil. In derselben Ausgabe wurde durch die Redaktion zur Aufstellung eines Scheffel-Denkmals aufgerufen.
 

Briefkopf

Badische Gedichte

Am stärksten in Erinnerung blieb Gutsch jedoch für die vielen von ihm in badischer Mundart verfassten Gedichte, von denen die meisten in den Karlsruher Nachrichten erstveröffentlicht wurden. Gutsch gab sie zudem in zwei Bänden (1876 und 1889) unter dem paradigmatischen Titel Aus Karlsruhe's Volksleben heraus. Darin finden sich "teils wehmütige, teils ergötzliche Bilder aus der Zeit, als Karlsruhe noch keine Großstadt war": Noch im Gründungsjahr des Kaiserreichs 1871 hatte Karlsruhe lediglich 36.582 Einwohnerinnen und Einwohner, wuchs dann rasant um kurz nach der Jahrhundertwende die Grenze von 100.000 zu durchbrechen. Gutsch schildert in seinen Gedichten auch die Entwicklung Karlsruhes von einer "gemütlichen Mittelstadt zum Groß-Karlsruhe".  Der "Witz" in Gutschs Lyrik kann zwar mit gutem Recht als "hausbacken bieder" bezeichnet werden, "Klang und Rhythmus" hingegen waren "echt" und die "Zeichnungen aus dem bürgerlichen Leben durchaus zutreffend". Mit seiner Dichtung fing Gutsch die Stimmungen, die Atmosphäre und den Alltag der Karlsruher Bevölkerung im späten 19. Jahrhundert auf erstaunlich intime Weise ein und setzte damit der Karlsruher Mundart ein Denkmal - dies auch in Form eines eigenen Gedichts über dieselbe:

Wann in d'r Sprach sich thät d'r Volkscharakter zeige,
Wär's meinersex for uns net gut. Mir neige
Uns ehnder zu d'r Weichheit, zum G'müthvolle
Un sinn so, was m'r sagt, en guter Trolle
[…]
Doch wer se kennt und weiß e G'fühl nein z'lege,
So recht von inne ‚raus, wie mir se pflege,
Wird ganz g'wieß sage mieße: "Zur Erkenntnis
Von Karlsruh's Volksschprach g'hört e tief's Verständniß
[…]

Im Vorwort zum ersten Band gab Gutsch dem Leser noch Anleitung, wie das von ihm in lyrischer Form niedergeschriebene Mundart-Badisch ausgesprochen werden sollte, "um dem speziellen Karlsruher Volksdialekte möglichst Rechnung zu tragen". Wobei Gutschs Karlsruherisch bereits im Eigentlichen gar nicht mehr die "alte Karlsruher Volkssprachweise" darstellte, da diese sich bereits zu Gutschs Zeiten nur noch auf sehr engem Gebiet (in Karlsruhe) erhalten hatte und den verschiedenen Einflüssen der stetig zuziehenden (norddeutschen) Neu-Karlsruhern gewichen war. Hinzu kam das Bemühen der Schulen, die Schüler zu möglichst dialektfreiem Sprechen und Schreiben zu erziehen, so dass sich der "altkarlsruher Dialekt naturgemäß eher auf die unteren Volksschichten zurückgezogen" habe, hielt Gutsch im Vorwort zu Band 2 fest. Gutsch hat in seinen Werken eine Mischform aus alemannisch-schwäbischen und fränkisch-pfälzischen Elementen überliefert.

1894 musste sich der umtriebige Gutsch allerdings aus gesundheitlichen Gründen von der Arbeit in der Chefredaktion der Karlsruher Nachrichten zurückziehen, was gleichzeitig das Ende der Zeitung bedeutete: Die Karlsruher Nachrichten gingen im Juni 1894 wegen "andauernder Kränklichkeit ihres Begründers und Redakteurs Friedrich Gutsch sen. ein", wie in der Stadtchronik vermerkt wurde. Allerdings war auch die Leserschaft in Karlsruhe seit den späten 1880er-Jahren immer mehr an internationaler Berichterstattung interessiert, einem Bedürfnis, dem ein reines Lokalblatt nicht nachkommen konnte. Friedrich Gutsch starb am 24. September 1897 mit nur 59 Jahren nach schwerem Leiden. Er hatte sich zeitlebens "für die vielfältigen Interessen seiner Vaterstadt stets rastlos und wirksam" eingesetzt, weshalb noch im gleichen Jahr ihm zu Ehren eine Straße in der heutigen Südweststadt in der Nähe des Hauptbahnhofes benannt wurde.

Dr. Michael Fischer, wissenschaftlicher Bibliothekar an der Badischen Landesbibliothek

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