Karlsruhe interaktiv – wichtige Website-Funktionen

Menü
eService
Direkt zu
Suche
Karlsruhe interaktiv – wichtige Website-Funktionen

Blick in die Geschichte Nr. 144

vom 20. September 2024

Weimarer Koalition in Baden

Ludwig Marum - ein badischer Sozialdemokrat zwischen Erfolg und Scheitern

von Monika Pohl

Der bedeutendste badische Sozialdemokrat in der Weimarer Republik war der Karlsruher Rechtsanwalt, Stadtverordnete, Landtagsabgeordnete, Reichstagsabgeordnete und Minister Ludwig Marum. Als führender Vertreter des Reformismus der SPD prägte er entscheidend die Politik der Partei und nahm als Politiker mit bürgerlichem Hintergrund und jüdischen Wurzeln eine exponierte Stellung ein. Zusammen mit seinem Parteifreund Adam Remmele setzte er das Vermächtnis der beiden Protagonisten der badischen Sozialdemokratie in der Vorkriegszeit, Ludwig Frank und Wilhelm Kolb, fort, die den reformistischen Kurs gegen die orthodox-marxistische Linie der Berliner Gesamtpartei im Südwesten durchgesetzt hatten.

Ludwig Marum (rechts) und Wilhelm Kolb, Foto 1911

Nach dem Umbruch von 1918/19 hatte sich der Reformismus in der Praxis in Baden zu bewähren, als er erstmals über Regierungsmacht verfügte und zeigen musste, dass der Aufbau einer neuen Staats- und Gesellschaftsordnung auf gewaltfreiem, reformerischem Weg möglich war. Priorität erhielt dabei das Ziel der Demokratisierung staatlicher und gesellschaftlicher Strukturen, während die Realisation des sozialistischen Programms angesichts der prekären Nachkriegskrise kaum eine Chance hatte. Marum als führender Repräsentant der reformistischen Linie bejahte den in Baden schon im November 1918 gefundenen Klassenkompromiss mit bürgerlich-republikanischen Parteien, den er durch eine konsequente Koalitionspolitik dauerhaft aufrechterhalten wollte. Die nun gegebenen Gestaltungschancen wollte er - trotz der nachgeordneten Position der SPD als Juniorpartnerin hinter dem dominierenden Zentrum - nutzen zum Aufbau einer sozialen Demokratie, in der die Interessen der Arbeiterschaft zentrale Berücksichtigung finden sollten.

Ludwig Marum, 1928

Marum erwarb sich besondere Verdienste als Fraktionsvorsitzender, der einen äußerst kompromissbereiten Kurs verfolgte, als Vorsitzender des Haushaltsausschusses im Badischen Landtag, der die Modernisierungsprojekte der Regierung im Bereich der Energiewirtschaft und des Verkehrswesens unterstützte, vor allem aber als engagierter Verteidiger der Republik, der gegen den Ansturm extrem linker und rechter Kräfte erfolgreich den Einsatz der Mittel der wehrhaften Demokratie empfahl. In den ersten Jahren der Republik arbeitete die Weimarer Koalition in Baden, zu der neben dem Zentrum und der SPD auch die linksliberale DDP gehörte, relativ spannungsfrei zusammen, wozu die Konzilianz und das Vermittlungsgeschick Marums entscheidend beitrugen. Die Weimarer Koalition in Baden legte eine in Deutschland einzigartige Erfolgsbilanz vor, sie konnte sich fast während der gesamten Dauer der Republik bis in das Jahr 1932 behaupten. Sie verschaffte Baden Stabilität und erwarb ihm den Ruf eines Bollwerks der Republik, wodurch man anknüpfte an die liberal-demokratische Tradition des Landes, die in der Revolution von 1848/49 begründet worden war. Damit leistete der Reformismus und sein Spitzenpolitiker Marum einen entscheidenden Beitrag zur Demokratiegeschichtedes Landes. Der konsequent eingeschlagene liberal-demokratische Weg stellte eine Besonderheit in der Weimarer Sozialdemokratie dar, die in der Reichspolitik erbitterte innerparteiliche Kämpfe um ihre politische Ausrichtung in der Politik austrug und sich zwischen Koalition und Opposition nur schwer entscheiden konnte.

Als Sozialdemokrat jüdischer Herkunft leistete Marum einen entscheidenden Beitrag sowohl für die Integration der bisher ausgegrenzten SPD als auch für die Akzeptanz jüdischer Politiker in führenden Positionen der Landespolitik.

Neben diesen Erfolgen, zu denen auch der Aufbau einer demokratischen politischen Kultur gehörte, gab es aber auch Schattenseiten reformistischer Politik in Baden, die erheblichen Konfliktstoff in sich bargen. Anders als oftmals beschrieben, führte dies zu großen Auseinandersetzungen in der Landespolitik, die keineswegs von einem nur harmonischen Klima bestimmt wurde. Konfliktpotential ergab sich in der SPD selbst, mit den bürgerlichen Koalitionspartnern und mit den politischen Feinden aus dem rechten und linken Lager, so dass sich die Biographie Marums auch als eine Geschichte der Herausforderungen und Krisen des badischen Reformismus liest.

Nach dem erfolgreichen Start zu Beginn der Republik erlebte die Koalitionspolitik in Baden Krisen und Tiefpunkte und entwickelte eine Dynamik, die von dem Fraktionsvorsitzenden Marum große Flexibilität und Wendigkeit verlangte. Absolute Priorität hatte für ihn die Mitwirkung in der Regierung, wodurch er den Einfluss der SPD erhalten und die Republik festigen wollte. Als die bürgerlichen Kräfte nach Überwindung des Krisenjahres 1923 erstarkten, schwenkte Marum auf den Kurs einer pragmatischen Realpolitik ein, die den offensiven Forderungen der bürgerlichen Partner weitgehend entgegenkam. Es zeigte sich, dass Marum große Opfer zu bringen bereit war, um das übergeordnete Ziel, den Erhalt des Regierungsbündnisses und damit die Festigung der Republik, zu erreichen. Dabei ging er bis an die Grenze des Opportunismus und provozierte damit große innerparteiliche Auseinandersetzungen in der badischen SPD, in der der Weg der Landtagsfraktion umstritten blieb. Ein Großteil der Partei lehnte die Abkehr von zentralen programmatischen Punkten und der damit verbundenen Schwächung des Parteiprofils ab, sperrte sich gegen die Preisgabe sozialpolitischer Errungenschaften und verweigerte die Zustimmung zu weitgehenden Zugeständnissen in der Schulpolitik. Mit seinem Konzept, der staatspolitischen Pragmatik den Vorrang vor der parteipolitischen Programmatik zu geben, stieß Marum an Grenzen und wurde zu einem der umstrittensten Politiker in der badischen Politik, der nicht nur auf den Widerspruch seiner Partei, sondern auch auf den des linksliberalen Koalitionspartners stieß, der eine Bildungspolitik im Sinne des Zentrums verweigerte. Marum stand mitten in politischen Auseinandersetzungen, in denen es um den Kurs seiner Partei und die Ausrichtung der badischen Landespolitik auf dem Feld der Sozial- und Kulturpolitik ging. Seine politische Biographie vermittelt detaillierte Einblicke in die innerparteilichen Diskussionen der badischen SPD und die Konflikte in der badischen Regierungskoalition.

Der badische Reformismus stand außerdem unter dem Konkurrenzdruck der radikalen Linken, die die geringen sozialen Fortschritte, die die Regierungskoalition erreichen konnte, für ihre Propaganda nutzte. Daneben sah sich Marum zunehmend den Angriffen der extremen Rechten ausgesetzt, die ihn nicht nur wegen seiner jüdischen Herkunft, sondern auch wegen seines konsequenten Engagements für die Republik attackierten. Im Einsatz für seine reformistische Agenda war Marum mit starkem Gegendruck und widrigen politischen Umständen konfrontiert, die einen entscheidenden politischen Durchbruch verhinderten.

Das Schicksal Marums war eng mit dem der Republik verbunden, er wurde nach deren Scheitern zur tragischen Figur, deren reformistisches Programm eine entscheidende Niederlage erlitt und die ein bitteres Verfolgungsschicksal erwartete. Marum wurde im Frühjahr 1934 von den Nationalsozialisten im badischen KZ Kislau ermordet. Der Reformismus dagegen lebte fort, er trat nach der Niederringung der NS-Diktatur einen Siegeszug in der SPD an und verhalf den politischen Idealen Marums zu neuer Aktualität und zentraler Bedeutung für die bundesrepublikanische Politik.

Dr. Monika Pohl, Historikerin

Hinweis: Im März dieses Jahres ist der dritte Teil der Biographie Ludwig Marums, des badischen Sozialdemokraten jüdischer Herkunft "Ludwig Marum und sein Weg in der Weimarer Republik" erschienen. Die Autorin vermittelt mit dieser politischen Biographie umfassende Einblicke in die badische Landesgeschichte der Zwanzigerjahre, in das Kulturleben im Südwesten und in die deutsch-jüdische Beziehungsgeschichte in dieser Zeit. Daneben beschäftigt sie sich mit der Rechtspolitik, die Ludwig Marum als Reichstagsabgeordneter in den Jahren 1928-1933 mitgestaltete.

-

Kopieren Kopieren Schreiben Schreiben