Karlsruhe interaktiv – wichtige Website-Funktionen

Menü
eService
Direkt zu
Suche
Karlsruhe interaktiv – wichtige Website-Funktionen

Blick in die Geschichte Nr. 144

vom 20. September 2024

Bruno Thiergarten-Schultz und der Zusammenbruch der "Badischen Presse"

Der Ruin eines großen Karlsruher Zeitungsverlages

von Sibylle Peine

Bis zum Ende der Weimarer Republik war die Badische Presse die wichtigste Tageszeitung Karlsruhes und die größte in ganz Baden. Noch heute tragen die Badischen Neuesten Nachrichten (BNN) den Namen des Vorgängerblattes im Untertitel. Ihre Geschäftsstelle in der Lammstraße 1b war Stammsitz der Badischen Presse. Dort lebte auch über Jahrzehnte die Verlegerfamilie Thiergarten. Anhand ihrer Geschichte lässt sich viel über Pioniergeist und Innovationskraft, aber ebenso über Geltungssucht und Größenwahn erzählen. Der aus Lahr stammende Buchdrucker Ferdinand Thiergarten (1847-1919), Sohn eines Findelkindes, hatte den Verlag in jahrzehntelanger Arbeit groß gemacht, sein Enkel Bruno Thiergarten-Schultz (1896-1957) ruinierte ihn in kurzer Zeit.

Die technische und kaufmännische Belegschaft der "Badischen Presse", Foto 1932

Die Geschichte dieses Niedergangs findet sich in Stapeln von Akten im Generallandesarchiv, denn Bruno Thiergarten-Schultz kämpfte nach dem Krieg bis zu seinem Lebensende fast ununterbrochen um Rückerstattung und Entschädigung, die er nur teilweise erreichte. Das Ende des Verlages Ferdinand Thiergarten 1934 steht zwar im engen zeitlichen Zusammenhang mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten und dem Aufstieg von deren Parteizeitung Der Führer, ursächlich aber war die verfehlte Unternehmenspolitik und persönliche Verschwendungssucht von Bruno Thiergarten-Schultz. An dem Untergang des einst blühenden Verlages waren allerdings auch andere Familienangehörige beteiligt.

Der Erfolg des Verlages basierte auf dem Geschick und Können des gelernten Buchdruckers Ferdinand Thiergarten, einer typischen Aufsteigerpersönlichkeit des Kaiserreichs. 1891 wurde er Alleininhaber der Badische Presse. Zusammen mit seinem agilen jungen Chefredakteur Albert Herzog gelang es ihm, das nationalliberal ausgerichtete Blatt zur führenden Tageszeitung Badens zu machen. Die Auflage stieg von knapp 12.000 bei Verlagsübernahme bis 46.000 im Todesjahr des Verlegers (1919). Druckerei und Verlag Thiergarten waren so erfolgreich, dass der Immobilienbesitz stetig wuchs. Ab 1904 war die ganze Häuserzeile zwischen Lammstraße, Zirkel und Karl-Friedrich-Straße in Thiergarten-Hand.

 

Ein junger Geschäftsführer mit großen Plänen

 

Durch den vorzeitigen Tod von Ferdinand Thiergartens einzigem Sohn Alfred, der 1916 mit kaum 39 Jahren noch vor dem Vater starb, wurde der älteste Enkel Nachfolger. Bruno Schultz, Sohn der älteren Thiergarten-Tochter Ida, war allerdings durch die Zeitumstände nur wenig vorbereitet auf den Posten. Nach dem Besuch des humanistischen Gymnasiums war er sofort als Freiwilliger in den Krieg gezogen. Als Ferdinand Thiergarten 1919 mit 72 Jahren starb, war sein Enkel, der sich jetzt als Firmenerbe Bruno Thiergarten-Schultz nannte, gerade ein halbes Jahr im Unternehmen tätig. Möglicherweise war diese kurze Einarbeitungszeit ein wichtiger Grund für alle Probleme, die folgen sollten.
 

Bruno Thiergarten-Schultz mit seiner Verlobten und späteren Frau Ilse Utz im Jahr 1919

Nach dem Tod von Ferdinand Thiergartens Frau Emma im März 1920 ging der Verlag endgültig an den Enkel über. Nach dem Willen der Großeltern sollte er Alleinerbe sein, doch der damals erst 24-jährige Bruno Thiergarten-Schultz holte seine Verwandtschaft mit ins Boot. Er selbst war Geschäftsführer des Verlages, drei weitere Familienzweige Kommanditisten, die mit ihrer Einlage, nicht aber mit ihrem Privatvermögen hafteten.

Der junge Verleger modernisierte die Badische Presse nach seinen Vorstellungen. Das Blatt blieb auf liberalem Kurs. Bruno Thiergarten-Schultz gehörte der Deutschen Volkspartei (DVP) an und wurde deshalb von seinen Gegnern als "Stresemannjünger" bezeichnet. Aus der Badischen Presse wollte er eine echte Großstadtzeitung machen und holte einen neuen Chefredakteur, Dr. Walther Schneider. Im Zusammenspiel mit anderen deutschen Regionalzeitungen wurde ein Auslandskorrespondentennetz aufgebaut. Der Expansionskurs wurde durch aufwendige Werbemaßnahmen und teure Zukäufe wie den der Badischen Landeszeitung (1921) und des Karlsruher Tagblatts (1928) begleitet. 1928 ließ Bruno Thiergarten-Schultz zudem das altersschwache Haus Karl-Friedrich-Straße 6 in ein weiteres Druckerei- und Redaktionshaus umbauen. Nur zwei Jahre später, als der Verlag schon längst in Schieflage war, kaufte er aus Prestigegründen zu einem "Liebhaberpreis" das Haus Kaiserallee 80a, in das die Geschäftsstelle der Badischen Presse einzog.

 

Glamouröser Lebensstil und teure Immobilien

 

Auch privat zeigte der Verleger eine verhängnisvolle Leidenschaft für teure Immobilien. Mit seiner Frau Ilse, Tochter des reichen Karlsruher Furnierhändlers Ludwig Utz, führte er einen glamourösen Lebensstil. Neben seinem Privathaus in der vornehmen Beethovenstraße kaufte er z. B. noch ein Landhaus in Rotensol (Bad Herrenalb) mit luxuriösem Swimmingpool. Bruno Thiergarten-Schultz hatte auch eine Vorliebe für teure Sportwagen und für Spielcasinos. Zwar erreichte die Badische Presse Ende der zwanziger Jahre mit 56.000 Exemplaren eine Höchstauflage, doch die Einnahmen reichten bald nicht mehr, die enormen Ausgaben zu decken.

Um seine üppigen Aufwendungen zu finanzieren, griff der Verleger ungeniert in die Verlagskasse. Insgesamt soll Bruno Thiergarten-Schultz zwischen 1924 und 1932 an die 1.700.000 RM dem Betrieb entnommen haben. Gleichzeitig sank mit der Weltwirtschaftskrise der Reingewinn der Badischen Presse von knapp 370.000 RM im Jahr 1929 auf 68.000 RM im Jahr 1932. Das beunruhigte schließlich auch die anderen Gesellschafter, die ihm sein Gehalt kürzten. Als der Druck der Gläubiger zu groß wurde, reichte der Onkel des Verlegers, der Opernsänger Franz Zörnitz, eine Klage wegen Untreue und Unterschlagung ein. Daraufhin wurde Bruno Thiergarten-Schultz am 8. Juli 1933 in Untersuchungshaft genommen, im September 1933 noch einmal drei Tage in sogenannte Schutzhaft. Endlich übergab der Verleger das Ruder an zwei jüngere Cousins. Doch es war zu spät. Am 2. Februar 1934 musste der einst so stolze Verlag Ferdinand Thiergarten Konkurs anmelden. Die Badische Presse existierte zwar unter Leitung der Südwestdeutschen Druck- und Verlagsgesellschaft weiter, war aber komplett gleichgeschaltet und bis zu ihrem Ende 1944 nur noch ein Schatten ihrer selbst.

Bruno Thiergarten-Schultz verlor nicht nur seinen Verlag, sondern auch seinen gesamten persönlichen Besitz. Einem drohenden Verfahren wegen Konkursvergehen entzog er sich durch Flucht. Mit seiner späteren zweiten Ehefrau lebte er bis zum Kriegsausbruch in Frankreich, wo er sich mit kümmerlichen Übersetzerjobs über Wasser hielt. Später arbeitete er ebenfalls für sehr wenig Geld beim Reichsernährungsamt und der Wehrmachtsverwaltung in München. Nach dem Krieg versuchte Thiergarten-Schultz in einer ganzen Reihe von Gerichtsverfahren sein geschäftliches und privates Vermögen wiederzuerlangen. Zudem wollte er als NS-Opfer anerkannt und entschädigt werden. Das Ende seines Verlages sah er als Ergebnis der Machenschaften des Gauleiters Robert Wagner, der als Herausgeber des NS-Kampfblattes Der Führer seinen Untergang geplant habe. Dem folgten die Gerichte nicht und erklärten sein Scheitern vielmehr als konsequente Folge seiner "äußerst anfechtbaren Lebensführung".

Das Verfahren auf Rückerstattung des Firmenbesitzes mit einem Streitwert von 1 Million DM endete 1949 mit einem Vergleich. Der Familie Thiergarten wurden 39 Prozent des Streitwertes zugestanden. Die Grundstücke in der Lammstraße 1b-5, die bis 1934 der Familie Thiergarten gehört hatten, gingen an sie zurück, ein Drittel erhielt aber das Land Württemberg-Baden.

In der Zwischenzeit hatten die BNN eine Lizenz der Besatzungsmacht bekommen und waren in die Lammstraße 1b gezogen. Bruno Thiergarten-Schultz und seine Frau zogen sich nach Konstanz zurück. Dort starb der ehemalige Verleger 1957 mit 61 Jahren nach einem an Höhen und Tiefen mehr als reichen Leben.

Sibylle Peine, Journalistin und Historikerin

Mehr zur Familie Thiergarten:

Sibylle Peine: Pioniere, Diven, Hasardeure. Die schillernden badischen Unternehmerfamilien Thiergarten und Utz, tredition, 352 Seiten, 33 Euro.

-

Kopieren Kopieren Schreiben Schreiben