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Blick in die Geschichte Nr. 143

vom 21. Juni 2024

Antisemitische Wegbereiter des Nationalsozialismus im Kaiserreich

Alldeutsche - Handlungsgehilfen - Vaterländische

von Ernst Otto Bräunche

 

Der Antisemitismus war keine Erfindung der Nationalsozialisten, auch in Karlsruhe gab es schon im Kaiserreich antisemitische Gruppierungen, an die diese nahtlos anknüpfen konnten. Zu den wirkungsmächtigsten gehörte der Alldeutsche Verband.

 

Alldeutscher Verband

Der nationalistisch-völkisch ausgerichtete Alldeutsche Verband wurde 1891 in Berlin als Allgemeiner Deutscher Verband u. a. auf Betreiben des Verlegers Alfred Hugenberg und des Kolonialisten Carl Peters mit dem Ziel gegründet, den deutschen Flottenausbau für eine imperialistische Kolonialpolitik zu forcieren, das Nationalbewusstsein zu stärken und das Deutschtum im Ausland zu fördern. Nach der Umbenennung in Alldeutscher Verband im Juli 1895 dauerte es noch mehr als drei Jahre, bis in Karlsruhe eine Ortsgruppe entstand. Als der Karlsruher Vertrauensmann des Verbandes, der Anthropologe und Schriftsteller Otto Ammon, am 3. November 1898 zu einer Besprechung zur Gründung einer Ortsgruppe einlud, zählte der Verband nur 40 örtliche Mitglieder. Zum provisorischen Vorstand gehörten u. a. der Gymnasialprofessor Robert Goldschmit und der Durlacher Bürgermeister Philipp Reichardt. Auch der Karlsruher Oberbürgermeister Karl Schnetzler unterzeichnete wenig später am 23. November einen Aufruf zum Beitritt. Bereits im Dezember fanden erste Veranstaltungen statt, so Ende des Monats eine Flottenversammlung mit 3.000 Teilnehmern in der Festhalle. Die Mitgliederzahl war inzwischen auf rund 200 angestiegen.

Postkarte mit Blick in den Rheinhafen zum 8. Gau- und 4. südwestdeutschen Handlungsgehilfentag in Karlsruhe am 1. und 2. April 1905

In der ersten Hauptversammlung des Verbandes wurde der provisorische Vorstand im Amt bestätigt und um drei neue Mitglieder auf zwölf erweitert. Otto Ammon bedauerte, dass kein Vertreter der Zentrumspartei gewonnen werden konnte. Das Zentrumsblatt Badischer Beobachter dagegen begrüßte dies, da die alldeutschen Bestrebungen auf eine Unterdrückung „aller Elemente“ hinauslaufe, „die keinen Gefallen finden an diesem deutschen Chauvinismus.“ Dagegen waren die drei Burschenschaften Arminia, Germania und Tuiskonia sowie der 1. Karlsruher Bicycle-Club beigetreten.

In den folgenden Jahren bot der Verband häufig Vortragsveranstaltungen im Sinne der Verbandsziele. Einer der eifrigsten Akteure war dabei Otto Ammon. Dieser gab im Jahr 1901 aus gesundheitlichen Gründen seinen Vorsitz an Ernst Boesser ab, Studienrat und späterer Leiter der Kadettenschule, ebenfalls ein in vielen völkischen Gruppierungen aktiver überzeugter Nationalist. Boesser trat 1907 wegen „Geschäftsüberhäufung“ als Vorsitzender zurück, blieb aber im Vorstand, dessen Mitglieder alle der bürgerlichen Oberschicht angehörten. Ein Vertreter der Burschenschaften sollte bald hinzugewählt werden.

1911 übernahm Adolf Fellmeth den Vorsitz und behielt ihn bis zu seinem Tode im Jahr 1929, als der Verband seine erfolgreichste Zeit hinter sich hatte. Schon im Ersten Weltkrieg, in dem viele Mitglieder Kriegsdienst leisteten, ging die Vortragstätigkeit stark zurück, man beteiligte sich aber an den Aktivitäten des Karlsruher Verbandes der Deutschtumsvereine.

In der Weimarer Republik trat die Ortsgruppe deutlich weniger in Erscheinung. Die Niederlage im Ersten Weltkrieg, mit der die meisten Alldeutschen nicht gerechnet hatten, und wachsende Konkurrenz im völkischen Lager vor allem durch die Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei (NSDAP) dürften sich hier ausgewirkt haben. Als der langjährige Vorsitzende Fellmeth am 1. Mai 1929 verstarb, setzte sich der Niedergang fort. Im Adressbuch wird der Verband nicht mehr aufgeführt und es finden sich kaum noch Zeitungsmeldungen.

Nach dem Krieg gehörten die ehemaligen Mitglieder des Alldeutschen Verbandes zu den Personen, die im Zuge der Entnazifizierung mit „besonderer Sorgfalt“ zu prüfen seien.

 

Deutschnationaler Handlungsgehilfenverband (DHV)

Zu den größten antisemitischen Verbänden des Kaiserreichs gehörte der am 2. September 1893 in Hamburg von Anhängern des Hofpredigers und Antisemiten Adolf Stoecker gegründete DHV. Entstanden war er als Interessenvertretung der Handlungsgehilfen in Gegnerschaft zur erstarkenden Sozialdemokratie und vor allem in Konkurrenz zu dem den liberalen Hirsch-Dunkerschen Gewerkschaften angehörenden Verband deutscher Handlungsgehilfen sowie dem Zentralverband der „Handlungsgehülfen und -hülfinnen“ (Freie Gewerkschaften). Der Gau Baden-Pfalz wurde 1898 in Mannheim u. a. von der im Vorjahr entstandenen Ortsgruppe Karlsruhe gegründet. Diese trat 1900 dem Alldeutschen Verband bei. Man traf sich in der Eintracht, die Geschäftsstelle befand sich bei dem Kaufmann Josef Dahringer in der Karl-Friedrich-Straße 19. Erstmals war die Ortsgruppe auch im Adressbuch des Jahres 1901 aufgeführt.

Am 27. Mai 1913 gehörte der DHV zu den dem rechten Spektrum angehörenden Veranstaltern einer Erinnerungsfeier zum 100-jährigen Jubiläum der Vielvölkerschlacht bei Leipzig. Seine Anziehungskraft für seine Mitglieder gründete sich aus solchen Veranstaltungen, mehr noch vermutlich aus etlichen Versicherungs- und Unterstützungsangeboten. Außerdem bot er in der Weimarer Republik noch einmal verstärkt gesellschaftliche Unterhaltungsabende an und organisierte Ausflugsreisen.

Viele der Mitglieder wurden nach dem Beginn des Ersten Weltkrieges zum Kriegsdienst eingezogen, 1916 mehr als 500 Mitglieder, von denen 35 gefallen waren. Im Verband engagierte sich auch Ernst Boesser, der 1916 die Ehrenmitgliedschaft erhielt. In der Weimarer Republik wuchs der DHV als Teil des von dem DHV mitbegründeten Christlichen Deutschen Gewerkschaftsbunds (DGB) noch einmal an. Zahlen für Karlsruhe liegen aber nicht vor. Dass der DHV ein finanziell gut aufgestellter Verband war, belegt der Bau eines neuen Ortsgruppenheims in der Karlstraße 4 zur Förderung der Jugend und der Bildung, das am 19. April 1929 eingeweiht wurde. An der Eröffnungsfeier nahmen zwar Vertreter der Stadt und des Landes teil, allerdings nicht aus der ersten Reihe, was die Distanz zu dem offen rechten Parteien zuneigenden DHV belegt. Für die Stadt nahm nur der Stadtrat der Deutschnationalen Volkspartei (DNVP) Heinrich von der Heydt teil.

Auch der DHV wurde rasch nach der Machtübernahme der NSDAP 1933 in die Deutsche Arbeitsfront (DAF) integriert. Im Oktober 1933 war er einer von neun Angestellten-Spitzenverbänden in der DAF, wurde aber wenig später am 20. Februar 1934 im Zuge der Umorganisation der DAF aufgelöst.

Plakat der Deutschen Vaterlandspartei 1917

Deutsche Vaterlandspartei

Nach der Gründung der Deutschen Vaterlandspartei, in der sich Monarchisten, Antisemiten, Völkische und Nationalisten versammelten, durch den späteren Putschisten Wolfgang Kapp am 2. September 1917 in Berlin, folgte am 19. Oktober 1917 die Gründung einer Ortsgruppe in Karlsruhe. Den Vorsitz übernahm Ernst Boesser. Auch andere namhafte Vertreter der "streng-konservativen" Richtung wie Prof. Reinhard Baumeister und Domänenrat a. D. Hoffmann, der Alldeutsche Major Albert Theodor Kreßmann oder der Zentrumsgegner und Historiker Arthur Böthlingk engagierten sich in der Vaterlandspartei, die sich entschieden gegen einen Verständigungsfrieden wandte. Zudem hatten u. a. der Maler und Direktor der Kunsthalle Hans Thoma, der Schriftsteller Fritz Römhildt (Romeo), der Direktor der Landesbibliothek Theodor Längin oder der Landesgerichtspräsident Adolf Trefzer, 1919 erster Vorsitzender der Deutschen Volkspartei (DVP), den Aufruf unterzeichnet. 

Am 18. Dezember 1917 fand eine erste Versammlung statt. Im großen Saal der Eintracht sprachen Boesser und als Gastredner der Vorsitzende der badischen Vaterlandspartei, der Psychiater und Neuropathologe Prof. Dr. Alfred Hoche aus Freiburg, der als einer der Wegbereiter der Euthanasie der Nationalsozialisten gilt.

Auch in Karlsruhe unterstützte in erster Linie das konservative Bildungsbürgertum die Neugründung. Die Resonanz auf Veranstaltungen dieser Partei war insgesamt aber eher mäßig. Es gelang ihr nicht, "die eigentlichen Volkskreise mit ihren Zielen vertraut zu machen, bei diesen gilt die Vaterlandspartei lediglich als Partei der Kriegsverlängerer und Annexionisten ins Unangemessene", wie der preußische Gesandte nach Berlin meldete. Die Vaterlandspartei trat zu den Wahlen 1919 nicht an und löste sich auf. 

Dr. Ernst Otto Bräunche, Redaktion/Herausgeber "Blick in die Geschichte"

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