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Blick in die Geschichte Nr. 143

vom 21. Juni 2024

Rot oder weiß?

Die erste politische Frauenversammlung in Durlach im März 1849

von Susanne Asche

 

Vereinzelt nur erklangen während der ersten deutschen demokratischen Revolution von 1848/49 die Rufe nach politischer oder gesellschaftlicher Emanzipation der Frauen, die damals fast alle unter der Vormundschaft ihrer Väter, Brüder oder Ehemänner standen. Im Zentrum der zeitgenössischen Darstellung des Geschlechterverhältnisses während der Revolution stand dementsprechend - fast schon ikonografisch - das revolutionäre Paar des kriegerisch-kampfbereiten Mannes und der liebend-ermutigenden Gattin oder Braut an seiner Seite. Umso mehr mussten politische Versammlungen von Frauen aufmerken lassen. In Durlach fand eine Frauenversammlung statt, in der ein politischer Konflikt unter den Vätern, Ehemännern, Brüdern und Verlobten entschieden wurde. 

Als im Vormärz und in den Jahren 1848 /49 eine breite Bewegung für Demokratie und Freiheitsrechte wuchs, standen sehr viele Frauen nicht beiseite. Sie erfüllten vielmehr eine Rückgratfunktion für den demokratischen Aufbruch, für das revolutionäre Geschehen und später auch bei der Bewältigung des Scheiterns. Sie stickten die Fahnen für die Bürgerwehren und die neuen Vereine wie z. B. die Turner oder Sänger, fertigten die Kokarden (= Abzeichen), besuchten Versammlungen und Parlamente, sammelten Kleider und Verbandszeug und kümmerten sich um die Verwundeten. Diese Tätigkeiten waren klare politische Bekenntnisse. Vor allem das Sticken der Fahnen, die bei feierlichen Fahnenweihen den Vereinigungen der Männer überreicht wurden, erfüllte eine wichtige Funktion für die Stiftung von Gemeinsamkeit unter den Bürgern. In Durlach, wo die Anhänger der Demokratie und sozialen Republik zahlreicher waren als in der eher braven Residenzstadt Karlsruhe, kam es zwischen Spätherbst 1848 und Frühjahr 1849 zu heftigen, leidenschaftlich ausgetragenen Auseinandersetzungen über die Gestaltung der Fahnen für die neu formierte Bürgerwehr. Bürgerwehren, denen sich die Männer zunächst freiwillig anschlossen, entsprachen der Forderung nach allgemeiner Volksbewaffnung statt der stehenden Heere von Berufssoldaten. Aber nach Inkrafttreten des neuen Bürgerwehrgesetzes vom 3. April 1848 war die Zugehörigkeit nicht mehr eine politische Willensbekundung, sondern sie wurde zur Bürgerpflicht. Politische Meinungsunterschiede innerhalb der Formationen waren damit vorprogrammiert.

Henkelkrug mit Wappen und Losung "Freiheit - Ordnung - Bruderliebe" der Keramischen Manufaktur Hornberg, um 1849

Die Anhänger der konstitutionellen Monarchie forderten in Durlach für die Bürgerwehr eine weiße Fahne, die Vertreter der sozialen demokratischen Republik eine rote. Um diese Frage zu klären lud der Revolutionär Karl Leußler im Spätherbst 1848 zu einer Versammlung der Bürgerwehrmänner in den Durlacher Schlossgarten, bei der er vehement für eine rote Fahne eintrat. Die Gemüter waren ob dieser Forderung so erhitzt, dass dem Austausch der Worte die Sprache der Fäuste folgte – es kam zu einer Schlägerei, bei der die Fraktion der Republikanhänger wohl verlor.  Dennoch beschlossen die Führungskräfte der Bürgerwehr, die mehrheitlich revolutionäre Demokraten waren, die rote Fahne.  

Damit aber war der Streit nicht beigelegt geschweige denn der Konflikt gelöst. Nun waren die Frauen gefragt, die diese Fahne ja sticken mussten. Sie versammelten sich Mitte März 1849 im großen Saal des Durlacher Rathauses, um sich über die Fahnenfrage zu verständigen. Über diese Versammlung erschien am 20. März 1849 in der konservativen Karlsruher Zeitung mit dem Datum 16. Mai ein Kurzbericht, dem zu entnehmen ist, dass auch auf dieser Zusammenkunft der Frauen die unterschiedlichen Meinungen hart aufeinanderprallten. Schließlich setzte sich eine Mehrheit durch, die auch den Mehrheitsverhältnissen unter den Männern entsprach - die Frauen beschlossen eine weiße Fahne zu besticken mit dem - so die Karlsruher Zeitung - Spruch: „Mit Gott für heilige Ordnung zum Schutze der Freiheit und der Rechte, der Bildung und des Wohlstands der Bürger“.  Die Karlsruher Zeitung kommentierte dies Geschehen: „so hat die große Mehrheit der Frauen und Jungfrauen gegenüber einer kleinen Minderheit, deren Lenkerin mit maßloser Dreistigkeit die hochrote Fahne forderte“, sich durchgesetzt. Dass die endgültige Entscheidung, wie die Fahne zu gestalten sei, tatsächlich den Frauen überlassen worden war, lässt sich dem Zeitungsartikel auch entnehmen, der den Entschluss kommentiert: „Abermals ein Zeichen, daß es wieder besser will werden in unserer altehrwürdigen Stadt! Kecke Frivolität muß der züchtigen Sitte weichen ; edleres Selbstgefühl tritt an die Stelle feiger Furcht ;‘‘ Bezugnehmend auf das Vorgehen der Führungskräfte der Bürgerwehr meint er: „Wir wünschen der Mehrheit Glück zu ihrem Siege, welchen ein […]der gegenwärtigen Bürgerwehrführer gewiß übereilter Schritt […] nothwendig machte, […]“Doch der Schreiber hatte eine Befürchtung: „Noch ein zweiter Sieg ist nöthig: es darf die weiße Fahne nimmermehr von rother Hand getragen werden.“ 

Warum wurde dem so viel Gewicht beigemessen, wem die Fahne übergeben wurde? Fahnenweihen waren in der Zeit des Vormärz und vor allem in den Monaten der Revolution von großer politisch-symbolischer Bedeutung. So war in Durlach für die Fahnenweihe, die Mitte Juni 1849 stattfand, ein aufwendiges Programm geplant, an dessen Beginn die Bürgerwehr von klingendem Spiel begleitet vom Schlossgarten zum Marktplatz marschierte, um anschließend von den auf dem Rathaus wartenden Frauen ihre Fahnen entgegen zu nehmen. Danach traten die Frauen auf den Rathausbalkon, um den Dank des Bürgerwehrkommandanten zu empfangen. Dann ging es zum Exerzierplatz der Bürgerwehr, wo ein Altar für die Fahnen aufgebaut war und ein halbstündiges Manöver stattfand. Auf die eigentlich geplante Volksbelustigung und den Bürgerball musste wegen des nahenden Kriegsgeschehens verzichtet werden. Bei diesem feierlichen Geschehen wurde die Auseinandersetzung der Frauen über die Fahnen sichtbar. Nach der Niederlage der Demokratinnen auf der Frauenversammlung hatte am 25. März 1849 die Revolutionärin Henriette Obermüller, jene „Lenkerin mit maßloser Dreistigkeit“, einen Aufruf an die Frauen und Jungfrauen im Durlacher Wochenblatt veröffentlicht, für die Turner innerhalb der Bürgerwehr eine Vereinsfahne zu stiften. Diese war, wie man einem Gedicht auf die Obermüller, das am 17. Juni im „Verkündiger“ stand, und den späteren Prozessunterlagen entnehmen kann, rot und trug die Sprüche „Sieg oder Tod“ und „Durlachs Demokratinnen den Turnern“.  

Henriette Obermüller als junge Frau, um 1840, [Stadtarchiv Karlsruhe 8/Alben 298, 33]

In ihren Lebenserinnerungen schildert Henriette Obermüller viele Jahre später, 1870/1871, die Fahnenangelegenheit so, als sollten von vorn herein unterschiedliche Bürgerwehr- und Turnerfahnen von den Frauen entschieden werden und sie habe sich mit ihrer Forderung nach einer roten Fahne mit schwarzen und goldenen Fransen und Band für die Turner und einer weiß-blauen für die Bürgerwehr mit großer Mehrheit durchgesetzt. Sie schreibt: „Ich stickte die Fahne selbst, ins rothe Feld einen grünen Eichenkranz, darinn die Worte Sieg oder Tod.“  Die von ihr genannten Daten stimmen allerdings nicht mit den zeitgenössischen Zeitungsartikeln überein, so dass ihren Erinnerungen an diesem Punkt mit etwas Skepsis begegnet werden muss.

Nach Niederschlagung der Revolution bezahlte sie für ihr Engagement einen hohen Preis, sie kam für Monate ins Amtsgefängnis Durlach, ihr Mann für einige Jahre ins Bruchsaler Gefängnis, von wo er schwer krank zurückkehrte und bald verstarb. Sicherlich war Henriette Obermüller eine besonders aktive und mutige Demokratin, die selbst öffentliche Auftritte nicht scheute, doch steht sie auch exemplarisch für die Beteiligung und Leistung der Frauen an und für den Einsatz für Demokratie und Freiheit. Sie vertrat Forderungen, die heute die Grundlagen unseres politisch-gesellschaftlichen Zusammenlebens bilden. Im Jahr 1999 widmete ihr das Pfinzgaumuseum eine Ausstellung und das Stadtarchiv publizierte ihre Lebenserinnerungen. Seit 2000 ist nach ihr eine Straße benannt als Bekenntnis der Stadt Karlsruhe zu sozialer Gerechtigkeit, Demokratie, Freiheit und Gleichberechtigung der Frauen.

Dr. Susanne Asche, Historikerin, Leiterin des Kulturamtes der Stadt Karlsruhe i. R.

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