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vom 15. Dezember 2023
von Harald Ringler
Was haben Karlsruhe und Washington gemeinsam? Karlsruhe ist eine gegründete Stadt, aber im Gegensatz zu Washington keine Planstadt. Der Grundriss beruht auf dem Wegestern eines Jagdgebiets, eines damals nicht unüblichen Musters. Das Jagd- und Lustschloss wurde zum Regierungssitz und südlich davon entwickelte sich fächerförmig die Residenzstadt. Die Gründung Washingtons geht auf einem Plan von 1791 zurück, als eine Hauptstadt für den neuen Staat errichtet werden sollte. Dabei vereinten sich verschiedene bekannte Grundrisselemente wie die von wichtigen Gebäuden ausgehenden Sichtachsen, Sternplätze und ein orthogonales Raster. In Karlsruhe bestimmt das Schloss und die davon wegführende Nord-Südachse, seit den 1920er-Jahren als "via triumphales" bezeichnet, mit einer Abfolge von drei Plätzen den für diese (Innen)Stadt bestimmenden barocken, von Friedrich Weinbrenner weiter gestalteten Grundriss. In Washington setzen zwei Gebäude baulichen Akzente, das Capitol, die Verkörperung des Parlaments, und das "President´s House (später "White House" genannt) als Sitz der obersten Exekutive. Die dritte Säule eines demokratischen Staats, die Gerichtsbarkeit mit der höchsten Instanz (Supreme Court) fand später bedauerlicher Weise nicht die ihr gebührende Berücksichtigung im Stadtgrundriss. Das Gebäude befindet sich neben der Kongressbibliothek (Library of Congress) und "hinter" dem Capitol.
Warum also erscheinen immer wieder Beiträge, die glauben machen wollen, dass Grundgedanken des Karlsruher Stadtgrundrisses Eingang fanden bei der Planfertigung für die Gründung der Hauptstadt der Vereinigten Staaten von Amerika. Die Übergabe eines von Thomas Jefferson (1743 - 1826), dem ersten Gesandten des neuen Staats in Europa, in Karlsruhe erworbenen Stadtplans an Pierre Charles L'Enfant (1754 - 1825), dem Planer der Hauptstadt, soll dafür der Beleg sein? Gleichen die vom Capitol wegführenden Straßen dem Karlsruher Wegestern? Soll sich Mannheim rühmen, weil der Grundriss Washingtons auch ein orthogonales Raster zeigt? Tatsache ist, dass Jefferson, 1801 - 1809 Präsident der USA, als Botschafter in Paris 1788 entlang des Rheins reiste, viele Städte besuchte, dort Stadtpläne erwarb, und zwölf davon im April 1791 an L'Enfant übergab mit dem Hinweis auf seine erklärenden Notizen. In seinen Ratschlägen für Europa bereisende Amerikaner bemerkte er zu "Carlsru", dass es sich lohnt, dort ein bis zwei Tage zu bleiben.
Von Karlsruhes Grundriss findet sich in seine Reisenotizen kein besonderer Vermerk. Er bemerkte kritisch, dass man für viel Geld Schneisen in den Wald geschlagen hätte. Sein besonderes Interesse galt dem Fasanengarten, hier auch der Biberburg, wozu er sich ausführlich äußerte. Leider zeigt sich heute dieser Teil des ehemaligen Schlossbezirks vernachlässigt. Seit der Bundesgartenschau 1967 dürften keine weiteren aufwertende Maßnahmen durchgeführt worden sein. Auch die Kaminaufsätze fanden zeichnerisch einen Niederschlag in seinen Aufzeichnungen. Er setzte seine Fahrt nach Rastatt fort, wo er sich ebenfalls Eindrücke einer barocken Stadt hätte holen können.
Über das Werden Karlsruhes vom Jagdstern zur Residenzstadt hat vor allem Gottfried Leiber in seinen Veröffentlichungen fundiert berichtet. Die Grafik zeigt das Schema des Jagdsterns für den anfangs geplanten Tier- und Fasanengarten Anfang 1715. Auch über die Planung für Washington gibt es Beiträge in der deutschsprachigen Fachliteratur, zum Beispiel von Ernst Egli und Spiro Kostof. Nun gilt es, sich den Plan von Washington anzusehen und sein Grundgerüst heraus zu filtern. Die Abbildung zeigt Washington nach dem Plan von L'Enfant in seiner Gänze, aufgespannt zwischen dem Potomac River und dem einmündenden Anacostia River. Wie Die oben bereits erwähnt zwei Gebäude dominieren die neue Stadt: das Capitol als gesetzgebende Kraft der Demokratie auf dem Jenkins Hill, der höchsten Erhebung des Geländes und das Haus des Präsidenten, beide verbunden in der Sichtachse der heutigen Pennsylvania Avenue. Von beiden zentralen Stellen gehen Grünzüge nach Westen (heute die National Mall) bzw. Süden zum Potomac River. Der Kreuzungspunkt der Achsen sollte Standort eine Reiterstatue George Washingtons sein. Zu dessen Ehre errichtete man später einen Obelisken.
Vom Capitol aus verlaufen zwölf Straßen, jeweils in Dreierbündel angelegt, vom Präsidentenhaus sind es neun Strahlen. Diese Strahlensysteme werden ergänzt durch parallellaufende Diagonalen, wichtige öffentliche Plätze verbindend. Ein engmaschiges rechtwinkliges Straßenraster überlagert den gesamten Stadtraum. Der Plan vereinigt die zwei bedeutendsten Figuren geplanter Stadtgrundrisse: das Raster als die seit der griechischen Antike angewendete Einteilung von Siedlungen - Piräus als Beispiel - und das Sternenmuster, wie es in der Renaissance für Idealstädte angedacht, zum Beispiel für Palmanova angewendet wurde. Im darauffolgenden absolutistischen Städtebau ist Stadt und Landschaft auf das Machtzentrum Schloss bezogen. Versailles gilt als erstes und oft nachgeahmtes Beispiel für die barocke Stadt. Diese wird dort vom Schloss aus durch drei Hauptstraßen gegliedert und zu beiden Seiten durch ein rechtwinkliges Raster erschlossen. In Washington zeigen sich diese barocken Muster wie die Grünzüge zur freien Landschaft, hier zum Fluss und die vom Capitol ausgehenden drei Strahlen in die vier Himmelsrichtungen. Die Kombination all dieser Figuren zeigt einen Eklektizismus in der Grundrissgestaltung. Dies führte bei der Umsetzung in die dritte Dimension, also in der Bebauung wegen der teilweise unpraktischen Grundstückszuschnitte zu Problemen. Ein rechtwinkliges Straßenraster, das viele nordamerikanische Städte prägt, wäre aus rein ökonomischen Gründen das günstigere gewesen. Jefferson selbst hatte einen derartigen Vorschlag gemacht, der aber von L'Enfant sogleich verworfen wurde. Dass der Einfluss der barocken Stadtplanung hier einen unübersehbaren Einfluss genommen hat, ist sicherlich auf die Herkunft des Planers Pierre Charles L'Enfant zurückzuführen, dem das nahe Paris liegende Versailles nicht unbekannt war. 1754 in Paris geboren, studierte der Sohn eines Malers ebenfalls Malerei und Skulptur. Er emigrierte 1777 nach Amerika und schloss sich den Truppen George Washingtons im Amerikanischen Unabhängigkeitskrieg an. Seine Erfahrungen beim U.S. Engineer Corps halfen ihm später bei seiner Hauptstadtplanung, für die ihn George Washington beauftragt hatte. Beschrieben wurde er als exzentrische Persönlichkeit, die bei der Planung der Hauptstadt immer wieder in Konflikte mit den für die Umsetzung der Planung Verantwortlichen führte. 1792 führte das zu seinem Ausscheiden aus dem Projekt. Der von der Regierung beauftragte Landvermesser Andrew Ellicott vollendete den Plan für die Drucklegung. 1825 starb L'Enfant verarmt in Maryland. Erst Jahrzehnte später erinnerte man sich seiner Verdienste, was 1909 zur Überführung seiner sterblichen Überreste auf den Nationalfriedhof Arlington und zum Bau eines Denkmals für ihn führte.
Es ist zu hoffen, dass künftig städtebauliche Zusammenhänge zwischen Karlsruhe und Washington D.C. nicht mehr behauptet werden. Wenn Karlsruhes Grundriss als Vorbild für eine Stadt gedient hat, dann war es das heutige schlesische Pokój, das Herzog Carl Christian Erdmann von Württemberg-Oels ab 1747 anzulegen begann. Hier treffen sich acht in den Wald geschlagene Alleen im Zentrum der Stadt, dem Jagdschloss. Mit der Zeit entstanden um den Stern Wohnhäuser, Ställe und eine Branntweinbrennerei. Es ist nicht wichtig, ob eine Stadt in der Geschichte Anregungen geboten hat. Bedeutsam ist das Selbstbewusstsein einer Stadtgesellschaft auch aus ihrer eigenen Geschichte heraus. Das zeigt sich durch die Pflege und Hervorhebung der baulich-gestalterischen Zeugnisse sowie deren Vermittlung.
Dr. Harald Ringler, Leiter des Stadtplanungsamts i. R.