Karlsruhe interaktiv – wichtige Website-Funktionen

Menü
eService
Direkt zu
Suche
Karlsruhe interaktiv – wichtige Website-Funktionen

Blick in die Geschichte Nr. 122

vom 22. März 2019

Im Spiegel von Propagandakunst und Karikatur

Das deutsch-französische Verhältnis von 1871 bis heute

von Peter Pretsch

Nach dem Sieg Preußens und seiner Bündnispartner über Frankreich im Deutsch-Französischen Krieg brachte Großherzog Friedrich I. von Baden vor den versammelten deutschen Fürsten am 19. Januar 1871 im Spiegelsaal von Versailles ein Hoch auf den neuen Kaiser Wilhelm I. aus. Damit wurde in der ehemaligen Hauptresidenz der französischen Könige die deutsche Reichsgründung besiegelt, was eine Demütigung für den Kriegsgegner bedeutete. Frankreich musste hohe Reparationszahlungen leisten und außerdem das Elsass und Teile Lothringens an das Deutsche Reich abtreten, das sich diese Provinzen als "Reichsland" einverleibte. In den jetzt deutschen Gebieten hielt die wilhelminische Architektur Einzug, alles Französische wurde hingegen unterdrückt. Viele Reichsdeutsche zogen nach Elsass-Lothringen und nahmen Schlüsselstellungen in der Verwaltung, der Wirtschaft, dem Militär und den Schulbehörden ein.

Anton von Werner: Kronprinz Friedrich Wilhelm an der Leiche des Generals Abel Douay nach dem Gefecht bei Weißenburg am 4. August 1870, Gemälde

Zum staatsoffiziellen Kunstprogramm nach dem Deutsch-Französischen Krieg und der deutschen Reichsgründung von 1871 gehörten historische Ereignisbilder und Reiterstandbildnisse. An der Großherzoglichen Kunstschule in Karlsruhe zum Historienmaler ausgebildet, verbrachte Anton von Werner (1843-1915) das Jahr 1870 als badischer Kriegsberichterstatter in Versailles und an den Kriegsschauplätzen im Elsass. Zu den prägnantesten, der Reichsidee gewidmeten Historienbildern zählte seine Auftragsarbeit der "Kaiserproklamation am 18. Januar 1871", die am Beginn seines Aufstiegs in Berlin zum einflussreichen Hof- und Staatsmaler des Kaiserreichs steht.

Als offizielle Schlachtenmaler begleiteten auch Louis Braun und Wilhelm Emelé, ein Badener mit französischen Wurzeln, das Kriegsgeschehen im Elsass. Nach seiner Rückkehr nach Karlsruhe erhielt Wilhelm Emelé von Großherzog Friedrich I. den Auftrag für eine Episode aus der "Schlacht bei Nuits". Ab den 1880er Jahren wurden vor allem propagandistische Schlachtenpanoramen zu gewinnbringenden Kassenschlagern, so auch in Karlsruhe am Festplatz, wo das sogenannte Panoramagebäude Kinder und Erwachsene vor der Erfindung des Kinos in seinen Bann zog.

Anton von Werner hielt 1890 nachträglich den ersten deutschen Sieg im Gefecht bei Weissenburg in einem großformatigen Gemälde fest, das sich heute im Besitz des Prinzen Georg Friedrich von Preußen befindet. Es zeigt den französischen General Abel Douay auf dem Totenbett, dem der preußische Kronprinz Friedrich Wilhelm mit seinem Stab nach der Schlacht die letzte Ehre erweist. Dafür war Werner eigens noch einmal in die elsässische Kleinstadt gereist, um vor Ort alle Details zu recherchieren.

Bereits als Schüler erlebte Jean-Jacques Waltz, 1873 in Colmar geboren, die deutschen Besatzer als patriotisch und den Elsässern gegenüber feindlich eingestellt. Vom Vater für die elsässische Kultur sensibilisiert, förderten auch eigene negative Erfahrungen mit deutschen Lehrern eine bis zu seinem Tod 1951 andauernde antideutsche Haltung. Nach seiner Ausbildung zum Textilzeichner in Lyon, kehrte er 1896 nach Colmar zurück und begann, folkloristische Postkarten mit ersten spöttischen Darstellungen der Deutschen zu entwerfen. Ab 1907 veröffentlichte er unter dem Künstlernamen "Hansi" idyllisch anmutende Bildwelten, darunter die "Vogesenbilder" und "Mein Dorf" sowie zahlreiche weitere Karikaturen, in denen er seine kompromisslose Haltung gegenüber dem Deutschen zum Ausdruck brachte. Immer wieder geriet "Hansi" deswegen mit dem Gesetz in Konflikt. Als er 1914 aufgrund der Veröffentlichung von "Professor Knatschke", einer Serie von Karikaturen zu seinem deutschen Lehrer und dessen Familie, verurteilt wurde, emigrierte er nach Frankreich, trat dort in die Armee ein und verlor seine deutsche Staatsbürgerschaft.

Karikatur von "Hansi" Jean Jacques Waltz: "Passage du Rhin – 1918-Retour au Pays natal"

Nach 1918 erneut im Elsass ansässig, freute er sich über die Vertreibung der seit 1871 im Elsass heimisch gewordenen von ihm verhassten ca. 150.000 "Altdeutschen", denen er eine Karikatur widmete, wie sie bei Breisach mit ihrem wenigen Hab und Gut, das sie mitnehmen durften, den Rhein überquerten.

Schon seit Kriegsbeginn 1914 hatten sich Deutschland und Frankreich gegenseitig mit Bombardierungen durch die damals noch neue Luftwaffentechnik überzogen. Im Verlauf des Krieges kam es zu massiven Zerstörungen und vielen Todesopfern vor allem in den grenznahen Städten. Die französische Fliegerstaffel, die auf einer Anhöhe bei Nancy stationiert war, flog mehrmals Luftangriffe auf Karlsruhe. Der Maler Henri Farré (1871-1934) gehörte als Kriegsbeobachter dieser Fliegerstaffel an und dokumentierte die Luftkämpfe und -angriffe in propagandistischen Gemälden. Seine Darstellung des Angriffs auf Karlsruhe vom 22. Juni 1916, der 120 Todesopfer forderte, ist heute im Besitz der Stadt Karlsruhe.

Henri Farré: Bombardement de Karlsruhe, 22. Juni 1916, Gemälde

Farré, der schon vor dem Krieg US-Amerikaner geworden war, kehrte 1919 in seine neue Heimat zurück. Daher ist mittlerweile der Großteil seiner Werke in dortige Museen und Galerien gelangt. Allein das National Air & Space Museum in Washington D.C. besitzt 75 seiner Bilder. Dort veröffentlichte er das Buch "Skyfighters of France", in dem er seine Erlebnisse als malender Kriegsberichterstatter schilderte und das er mit seinen Bildern illustrierte, u.a. mit einem weiteren Luftangriff auf Karlsruhe.

Am 10. Mai 1940 ergriff Hitler die Initiative und die deutsche Armee marschierte ohne Kriegserklärung in die neutralen Länder Niederlande, Belgien und Luxemburg ein, um von dort aus - unter Umgehung der Maginot-Linie, des französischen Verteidigungssystems an der Grenze zu Deutschland - Frankreich anzugreifen. Unter Ausnutzung dieses Überraschungsmoments war der Großteil Frankreichs bis zum 25. Juni des Jahres besetzt und das frühere Elsass-Lothringen wurde wieder dem Deutschen Reich zugeschlagen. Farrés Gemälde wurde in der Pariser Wohnung des Fliegerkapitäns de Kerillis beschlagnahmt, nach Karlsruhe gebracht und in einem Verlagsgebäude ausgestellt, um die Bösartigkeit Frankreichs anzuprangern.

Gemäß der NS-Ideologie sollte die dort annektierten Gebiete nun neuen Reichsgauen zugeteilt werden, so Teile Lothringens mit dem Saarland und der Pfalz zur Westmark und Baden und das Elsass zum Gau Baden-Elsass. Wie im übrigen Reich wurden hier nun politisch Andersdenkende und insbesondere Juden verfolgt und deportiert sowie zehntausende Elsässer und Lothringer in den Militärdienst gezwungen. Die NS-Propaganda zog in Städte und Dörfer ein. An den Schulen wurde nur noch Deutsch unterrichtet. Die französischsprachige Bevölkerung und die sogenannten "Franzosenfreunde" wurden zum größten Teil in das übrige Frankreich ausgewiesen.

Der erst kürzlich verstorbene Künstler Tomi Ungerer, 1931 in Straßburg geboren, erlebte als Kind die Folgen der Besatzung seiner Heimat im Zweiten Weltkrieg, die er damals schon in Zeichnungen verarbeitete. Die deutsche Propaganda einerseits und die Karikaturen von "Hansi" andererseits schärften sein politisches Bewusstsein und wurden prägend für seine Kunst.

Nach ersten Erfolgen als Illustrator und Zeichner von Kinderbüchern und Werbeplakaten in den USA wurde ab den 1960er Jahren die Satirezeichnung das zentrale Medium, mit dem sich Ungerer für Frieden und Toleranz einsetzte. Für Karlsruhe, der Stadt, in der er nach Kriegsende studieren wollte, entwarf Tomi Ungerer einen Katzenkindergarten im Stadtteil Wolfartsweier, der 2002 eingeweiht wurde. Hier erhielt er am 19. Februar 2004 die Ehrendoktorwürde für seine Verdienste um die europäische Völkerverständigung und den deutsch-französischen Dialog. In Karlsruhe präsentierte Ungerer in mehreren Ausstellungen seine Werke in Kooperation mit dem Centre culturel franco-allemand. Seine Karikatur zur deutsch-französischen Freundschaft mit zwei Männern in einem Boot war dabei ein beliebtes Plakatmotiv.

Dr. Peter Pretsch, Leiter des Stadtmuseums Karlsruhe

Weitere Werke der genannten Künstler sind bis zum 2. Juni 2019 in der Ausstellung "Karlsruhe und Elsass-Lothringen seit 1871. Die wechselhafte Geschichte einer Nachbarschaft" im Original im Stadtmuseum im Prinz-Max-Palais zu sehen.

-

Kopieren Kopieren Schreiben Schreiben