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Blick in die Geschichte Nr. 122

vom 22. März 2019

Von der Galantherie Schule zum Mädchengymnasium (Teil 2)

Der langwierige Weg zum Frauenstudium

von Ariane Rahm

Die Höhere Mädchenschule

Bis 1877 bestand das weiterführende Mädchenschulwesen aus Privatinstituten und der städtischen Höheren Töchterschule und ging über eine erweiterte Volksschulbildung nicht hinaus. Reformbestrebungen zur Mädchenbildung im ganzen deutschen Reich und das steigende Interesse des Staates am öffentlichen Schulwesen führten zur Einrichtung staatlich geförderter höherer Mädchenschulen mit normierten Ausbildungen und Abschlüssen. Mit der in Baden erlassenen landesherrlichen Verordnung über die Errichtung von Mittelschulen für die weibliche Jugend wurde die weiterführende Mädchenschulbildung erstmals auf eine rechtliche Grundlage gestellt. Als Folge der Neuorganisation der Höheren Töchterschule entstanden die dreiklassige Vorschule für Mädchen von 6-9 Jahren, die darauf aufbauende fünfklassige "Töchterschule", eine erweiterte Volksschule, die in der Kreuzstraße blieb, sowie die siebenklassige, ab 1879 so genannte "Höhere Mädchenschule", die schon ein Jahr zuvor einen Neubau in der Sophienstraße 14, heute Sitz des Fichte-Gymnasiums, bezog.

Mit der Höheren Mädchenschule gab es nun eine öffentliche Mittelschule für Mädchen. Sie stellte eine Aufwertung der weiterführenden Mädchenschulen dar, doch brachte auch sie keinen Erwerb von formalen Berechtigungen, der Ausbildung fehlte nach wie vor jeder Anspruch auf eine weiterführende berufliche Karriere. Erst im beginnenden 20. Jahrhundert brachten die Annäherungen an die Realschule das nominelle Ende der höheren Mädchenschule. Eine vergleichsweise liberale Zulassungspraxis in Baden erlaubte es aber schon zuvor, dass Mädchen auf Antrag an Knabenschulen (meist Bürger- oder Realschulen) aufgenommen werden konnten.

Das staatliche Lehrerinnenseminar Prinzessin-Wilhelm-Stift

So wie weiterführende Mädchenschulen übten auch weibliche Lehrkräfte ihre Tätigkeiten bis in die 1870er Jahre in einem rechtsfreien Raum aus, für ihre fachlichen und pädagogischen Kenntnisse gab es keine unmittelbaren Normen. Zur Behebung der Berufsnot unversorgter Frauen vor allem des gehobenen Bürgertums galt fast nur der Beruf der Lehrerin als standesgemäße Tätigkeit. Als wesensgemäß galt dabei lange nur die Unterrichtung unterer oder manchmal auch mittlerer gemischter Klassen; in höheren Töchterschulen durften sie höchstens Handarbeiten oder eventuell noch moderne Fremdsprachen unterrichten. Erst ab 1880 waren sie an öffentlichen Schulen offiziell zugelassen, wobei sie bis weit ins 20. Jahrhundert nicht gleichberechtigt waren. So verloren sie etwa bei einer Heirat den Anspruch auf Anstellung im Schuldienst.

Das Fehlen einer systematischen Ausbildung änderte sich mit der Eröffnung des Prinzessin-Wilhelm-Stifts, des ersten staatlichen Lehrerinnenseminars in Baden, in der Stephanienstraße im Jahr 1878 (ab 1883 in der Sophienstraße 31 33 beheimatet). Die Einrichtung ging zurück auf eine von Fanny Trier, Mitglied des Badischen Frauenvereins, 1873 gegründete und unter dem Protektorat der Großherzogin Luise und deren Schwägerin Prinzessin Wilhelm stehende private Ausbildungsstätte für Lehrerinnen und Erzieherinnen. 1924 ging das Seminar, das über Baden hinaus einen guten Ruf genoss, in der Lehrerbildungsanstalt, Vorgängerin der Pädagogischen Hochschule, auf.

Mathematikunterricht am staatlichen Lehrerinnenseminar Prinzessin-Wilhelm-Stift 1911

Der Unterricht beinhaltete zwei Fremdsprachen und zahlreiche Realien, womit er bildungshungrigen jungen Frauen mehr bot als die Höhere Mädchenschule. Gemäß der 1876 verabschiedeten 1. badischen Verordnung, die Prüfung von Lehrerinnen betreffend, konnten die Lehrerinnenprüfung für Volksschulen abgelegt werden sowie eine weitere für höhere Mädchenschulen. Für die Volksschulen entsprachen die Prüfungsanforderungen denen der männlichen Kollegen. Die Prüfung für den Unterricht an weiterführenden Mädchenschulen war jedoch eine "Neuschöpfung", die unter dem Niveau der Prüfungen männlicher Lehramtsbewerber blieb. Nicht zuletzt deswegen änderte sich an der männlichen Dominanz in der höheren Mädchenschulbildung zunächst nichts. Erst der unbeschränkte Hochschulzugang von Frauen und die Zulassung zum akademischen Lehramt führten langsam zu einer Änderung.

Das erste deutsche Mädchengymnasium

Voraussetzung für die bis dahin Frauen verwehrte Zulassung als ordentliche Studierende zur Universität war jedoch die Schaffung von im Hinblick auf Lehrplan und Abschlussprüfung den Knabengymnasien gleichgestellten Mädchengymnasien, was letztlich das Ende eines spezifischen Mädchenschulwesens bedeutete. Ab 1888 richtete der "Frauenverein Reform", gegründet in Weimar von der Frauenrechtlerin Hedwig Kettler (der zu Ehren das Fichte-Gymnasium im Dezember 2018 seinen Veranstaltungssaal umbenannte), Petitionen an sämtliche deutsche Staaten, blieb jedoch zunächst erfolglos. Man erkannte zwar das Zurückhinken Deutschlands hinter anderen Nationen hinsichtlich der Zulassung zum Studium, doch immer wieder wurden mögliche Folgen heraufbeschworen, bis hin zur Sorge, eine größere Anzahl geistig geschulter Frauen könnte auch verstärkt politische Gleichberechtigung einfordern. Erst im emanzipationsfreundlicheren Baden signalisierte man Wohlwollen und dermaßen ermuntert, eröffnete der Verein am 16. September 1893 in Karlsruhe das erste deutsche Mädchengymnasium.

Oberprima des Mädchengymnasiums im Schuljahr 1905/06 in den Räumen des heutigen Fichte-Gymnasiums.

Die Schule, zunächst im Volksschulgebäude in der Waldstraße 83 untergebracht, begann mit der Untertertia und nahm nur Mädchen auf, die sechs Jahre lange eine höhere Töchterschule besucht hatten. Am Ende stand ein der Reifeprüfung an Knabengymnasien voll entsprechendes Abitur mit umfangreichen Kenntnissen in Latein und Griechisch. Als sich abzeichnete, dass aufgrund von organisatorischen und finanziellen Schwierigkeiten die Schule als private Institution nicht mehr weiterzuführen war, wurde sie 1897 von der Stadt "in fürsorgliche Verwaltung" genommen und im Jahr darauf als Gymnasialabteilung der Höheren Mädchenschule angegliedert.

1896 waren in Berlin sechs Mädchen nach Absolvierung der von Helene Lange eingerichteten Gymnasialkurse zur Reifeprüfung an einem (Knaben-)Gymnasium zugelassen worden, doch in Karlsruhe legte 1899 erstmals eine Mädchenschulklasse das Abitur ab. Unter den ersten vier Abiturientinnen war Rahel Goitein, Tochter des Rabbiners der orthodoxen jüdischen Gemeinde in Karlsruhe, die nach ihrem Medizinstudium in Heidelberg als Frauenärztin in München arbeitete. Sie musste im Dritten Reich aus Deutschland fliehen und starb 1963 in Israel. In ihren Memoiren erzählte sie ausführlich von den schwierigen Anfangsjahren des Mädchengymnasiums. Eine weitere Abiturientin, die Bäckerstochter und spätere Apothekerin Lina Meub, war 1904 die erste ordentliche Studentin an der Technischen Hochschule Karlsruhe. Bereits ab 1900 erteilten die beiden Landesuniversitäten Heidelberg und Freiburg als erste deutsche Hochschulen überhaupt Frauen die volle Immatrikulationsberechtigung. Die endgültige Anerkennung der Zeugnisse des Mädchengymnasiums erfolgte in Baden allerdings erst 1904, in anderen Bundesstaaten noch später.

Der zunehmende Erfolg des Gymnasialzugs ließ 1911 eine Teilung der Höheren Mädchenschule nötig werden. Das Mädchengymnasium sowie ein Teil der Mittelschule zogen als "Lessingschule - Höhere Mädchenschule und Gymnasium" (ab 1951 Lessing-Gymnasium) in einen Neubau am Gutenbergplatz. Der in der Sophienstraße 14 verbliebene Teil nannte sich ab da Fichteschule und blieb bis 1926 eine Mittelschule, wurde dann Oberrealschule bzw. später Realgymnasium und erhielt 1956 den heutigen Namen Fichte-Gymnasium. Mit Beginn des Schuljahres 1973/74 wurde an den beiden Mädchenschulen - sowie auch am Goethe- und am Helmholtz-Gymnasium - die Koedukation eingeführt, womit nun an allen Gymnasien in Karlsruhe bis auf das private Mädchengymnasium St. Dominikus Jungen und Mädchen gemeinsam unterrichtet wurden.

Die Gründung des ersten deutschen Mädchengymnasiums war das augenfälligste Beispiel für Badens und speziell Karlsruhes Vorreiterrolle in der weiterführenden Mädchenschulbildung und ein Markstein hin zur wissenschaftlichen Emanzipation der Frauen - auf dass, so Rahel Goitein in ihrer Abiturrede, Mädchen und Frauen durch Wissen selbständig wurden und innerlich frei.

Ariane Rahm, Stadtarchiv Karlsruhe

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