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vom 21. März 2014
von Manfred Fellhauer
Junker & Ruh zählt zu den Karlsruher industriellen Großunternehmen, deren Anfänge zum Beginn der Hochindustrialisierung in den 1860er Jahren zurückreichen. Der Betrieb war zugleich auch der erste, der den Wandlungsprozessen der industriellen Produktion am Ende der Zeit des Wirtschaftswunders nach dem Zweiten Weltkrieg in Karlsruhe zum Opfer fiel.
"Ich muss wirken, solange es Tag ist" lautete der Wahlspruch des jungen Handwerksgesellen Karl Junker, der 1862 nach Karlsruhe zur Nähmaschinenfabrik Haid & Neu kam. Schon 1868 ließ er sich als selbständiger Handwerksmeister nieder und betrieb "als Spezialität die Fabrikation von Nähmaschinen". Seine Werkstätte befand sich im Keller des Hauses seiner Schwiegereltern in der Sophienstraße. Aber schon bald trat mit August Ruh, der ein Stickereigeschäft betrieb und nebenbei amerikanische Singer-Nähmaschinen verkaufte, ein weiterer Konkurrent auf den Plan. Bei einer Gewerbemesse auf dem Karlsruher Schlossplatz lernten sich Karl Junker und August Ruh kennen, schlossen sich zusammen und gründeten am 1. Februar 1870 die Firma Junker & Ruh. Es war der Beginn einer erfolgreichen Unternehmensgeschichte. Karl Junker übernahm die technische, August Ruh die kaufmännische Leitung des Betriebs.
Bis 1870 haben 100 Nähmaschinen mit dem Namen Junker die kleine Fabrikationsstätte im Wohnhaus in der Sophienstraße verlassen, 1895 waren es bereits über eine halbe Million "Junker & Ruh Nähmaschinen". In der wirtschaftlichen Hochkonjunktur nach dem gewonnenen Krieg von 1870/71 gegen Frankreich hatten die mutigen Jungunternehmer 1872 ein 9.200 Quadratmeter großes Gelände im Gewann Sommerstrich westlich der Maxaubahn und südlich der Sophienstraße erworben. Mit der Inbetriebnahme einer dort errichteten eigenen Gießerei machte sich das Unternehmen unabhängig von den Lieferungen von Gussteilen aus Frankreich und konnte zudem andere deutsche Nähmaschinenfabriken damit beliefern. Die erfolgreiche Produktionsausweitung verbunden mit dem Bau von weiteren Fabrikhallen zog eine stetige Zunahme der Beschäftigten nach sich, deren Zahl sich bis 1895 auf etwa 600 erhöhte. 1896 entstanden ein Emaillierwerk für Öfen und Gasherde sowie der Frontbau entlang der Sophienstraße. Ein weiterer Neubau an der Lessingstraße erfolgte 1898.
Um 1879 leitete eine Anregung aus den Vereinigten Staaten einen neuen Abschnitt der Firmengeschichte ein. Karl Junker wurde von seinem in die USA ausgewanderten Bruder auf den Dauerbrandofen aufmerksam gemacht. Die Folge war die Entwicklung des "Junker & Ruh-Cirkulations-Füllofens", ein verbesserter Dauerbrandofen, dessen Herstellung 1895 bereits eine Stückzahl von 65.000 erreichte. Abnehmer fanden sich auf der ganzen Welt.
Ende des 19. Jahrhunderts verwendete man in Deutschland im Haushalt Gas nur zu Beleuchtungszwecken. Kochen mit Gas wurde als Luxus betrachtet. Die Entwicklung des "Patent-Doppel-Brenners" durch Junker & Ruh bewirkte eine Revolutionierung in den deutschen Küchen. Die Wärme der Gasflamme konnte jetzt direkt auf den Kochtopf übertragen und mit Gas sparsam gekocht werden. Aus dem Gaskochapparat des Jahres 1893 wurde nach entsprechender technischer Weiterentwicklung der "Junker & Ruh-Gasherd". Ab 1904 begann die Produktion des Familiengasherdes, auf dem alle Speisen zubereitet werden konnten, die bislang nur mit Hilfe des Kohlenherdes hergestellt wurden. Die Produktionszahlen stiegen weiter, jedoch ließen die räumlichen Verhältnisse eine Erweiterung der Fabrik an der Sophienstraße nicht mehr zu.
1910 erwarb Junker & Ruh, inzwischen standen die Söhne und Schwiegersöhne der Gründer in der Verantwortung, ein 46.000 Quadratmeter großes Gelände an der Bannwaldallee von der Gesellschaft für elektrische Industrie AG, die wesentlich am Bau des ersten Karlsruher Elektrizitätswerkes am Rheinhafen 1899/1900 beteiligt war. Hier entstand ein modernes Werk mit eigener Gießerei und Energiezentrale, dessen 63 Meter hoher Schornstein zum Wahrzeichen von Junker & Ruh und der Industriestadt Karlsruhe werden sollte. Emaillieröfen und Werkzeugmaschinen standen jetzt in großen Hallen und hellen Arbeitsräumen, so die Firmenfestschrift von 1953. Heute wissen wir, wie menschenunfreundlich Fabrikhallen jener Zeit waren. 1912 erfolgte der Umzug der etwa 700 Arbeiter und Arbeiterinnen von der Sophienstraße in die Siemensstraße 1, die 1951 in Junker-und-Ruh-Straße umbenannt wurde. Vom Guss bis zur Fertigmontage wurde alles im eigenen Werk hergestellt. Technische Weiterentwicklungen führten zur Herstellung von Großkochgeräten und zu Sondergeräten wie Back- und Bratöfen, Grills, Kochkessel, Anrichten und Wärmeschränken. Die alte Fabrik wurde bis auf den Bau an der Sophienstraße abgerissen.
Der Ausbruch des Ersten Weltkriegs hatte die Karlsruher Wirtschaft unvorbereitet getroffen. Erst als aufgrund des länger als erwartet andauernden Kriegs auf Kriegswirtschaft umgestellt wurde und zunehmend Frauen in reinen Männerberufen eingesetzt wurden, entspannte sich die Lage. In geringem Maße profitierte Junker & Ruh von der Kriegsproduktion. Im Zeitraum 1. Januar bis 31. Mai 1917 tätigte Junker & Ruh z. B. Heereslieferungen, der größte Teil waren Waffenlieferungen, für 829.000 Mark.
Mit dem Verlust von Elsass-Lothringen nach dem Ersten Weltkrieg ging auch ein zuvor großes Absatzgebiet, insbesondere für Nähmaschinen verloren. Die Besetzung des Ruhrgebiets Anfang 1923 durch Frankreich, Deutschland war mit den im Versailler Vertrag auferlegten Reparationszahlungen in Verzug geraten, verschlechterte die wirtschaftliche Lage weiter. Die Banknotenpressen arbeiteten Tag und Nacht. Die schon zuvor schwache Mark sank rasch ins Bodenlose. Erst mit Einführung der Rentenmark am 15. November 1923 endete die Zeit der Inflation. Dennoch musste z. B. Haid & Neu noch im Sommer 1924 die Produktion vorübergehend stilllegen, 1.800 Männer und 550 Frauen wurden arbeitslos. Bei Junker & Ruh war die Lage nicht so dramatisch, sicher eine Folge der mehrschichtigen Produktpalette.
Im Oktober 1926 berichtete das Arbeitsamt, dass die größten Karlsruher Unternehmen, zu denen auch Junker & Ruh gehörte, wegen der guten Auftragslage neues Personal einstellen würden. Die Belegschaft war in dem zwischenzeitlich in eine Aktiengesellschaft umgewandelten Unternehmen auf 1.500 Arbeiter und Angestellte angewachsen. Der Schwerpunkt lag seit Jahren auf den Koch- und Heizgeräten. Im Zuge der Weltwirtschaftskrise 1929, die die Arbeitslosigkeit in Karlsruhe auf Rekordhöhe ansteigen ließ, gab Junker & Ruh 1930 die Herstellung von Nähmaschinen auf bzw. beschränkte sich auf die Herstellung einer Spezial-Schuhreparaturmaschine und nahm Elektroherde ins Produktionsprogramm auf. Die Firma nahm nun einen enormen Aufschwung mit großen Verkaufsniederlassungen in Hamburg, Köln, Berlin, München, Wien, Breslau, Paris und Rotterdam. Die Weltfirma Junker & Ruh produzierte außerdem in Werken in Sao Paulo, Mailand und Turin sowie dem "Schwesterwerk" in Graudenz an der Weichsel.
Der Ausbruch des Zweiten Weltkriegs, der, anders als 1914 beim Ersten Weltkrieg, in Karlsruhe keine Begeisterungsstürme hervorrief, veränderte die Arbeitsmarktlage schlagartig. Durch Einberufung zum Heeresdienst trat eine Verknappung an Arbeitskräften ein, wodurch lebenswichtige Betriebe und solche mit kriegswirtschaftlichen Aufgaben in Bedrängnis gerieten. Junker & Ruh bekam Ende 1939 zahlreiche Aufträge zur Lieferung von Großküchen an die Marine und Anfang 1941 einen Auftrag über 3.600 Öfen für Luftschutzräume und Baracken. Wie im Ersten Weltkrieg mussten auch jetzt wieder Waffen hergestellt werden. Dies erforderte einen hohen Bedarf an Arbeitskräften. Angesichts der immer größer werdenden Personalknappheit sahen sich die "Bedarfsbetriebe" veranlasst, umfangreiche Anträge auf Zuteilung von "ausländischen Zivilarbeitern" zu stellen. Am 30. Juni 1944 waren bei Junker & Ruh in Karlsruhe 1.729 Menschen beschäftigt, darunter 47 Kriegsgefangene und 330 Zwangsarbeiter.
Die Luftangriffe der alliierten Streitkräfte im September 1942, im September und Dezember 1944 legten über die Hälfte des Werkes in Trümmer. Was übrig blieb, wurde zur vermeintlichen Rettung nach Thüringen geschafft, wo es der Sowjetunion in die Hände fiel. Die in Karlsruhe noch vorhandenen Werkseinrichtungen dienten den französischen Besatzungstruppen als Panzerreparaturwerkstätte oder wurden nach Frankreich abtransportiert. Die ausländischen Fabriken waren ebenso verloren wie die europäischen Vertriebsstellen. Nur 30 Arbeitnehmer waren 1945 in Karlsruhe noch verblieben.
Der Wiederaufbau der Produktionsstätten dauerte bis 1953 und belastete das Unternehmen stark. Zwar gewann man mit innovativen Produkten wie dem vollgesicherten Gasherd, der Sicherheit in die Küche brachte, der Dunst-Abzugshaube für die Küche, dem Elektroherd und Großkücheneinrichtungen neue Marktanteile und erschloss mit einem gefragten Elektrokleingeräteprogramm wie z. B. dem Raumheizlüfter "Pustefix" und einer Kaffeemühle mit automatischer Deckelverriegelung völlig neuen Märkte. Dennoch geriet Junker & Ruh 1954 in eine finanzielle Schieflage. "Massenentlassungen bei Junker & Ruh" titelte die "Badischen Allgemeine Zeitung" vom 2. Oktober 1954. 400 Arbeitnehmer erhielten mit der Lohntüte ihre Entlassung. Ursachen waren ein bisher nicht gekannter Preisdruck durch die immer stärker werdende Konkurrenz und eine unternehmerische Fehleinschätzung. Man hatte sich für die Sommersaison besonders stark auf das Propangas-Geschäft verlegt. Die außerordentlich ungünstigen Witterungsverhältnisse bewirkten aber, dass der Absatz dieser Geräte weit hinter den Erwartungen zurückblieb. Erst 1959 gelang es der Firma, wieder Gewinne zu erzielen. 1961 wurde aus der Aktiengesellschaft wieder eine GmbH mit einem Kapital von vier Millionen, das 1964 auf 14 Millionen aufgestockt und von einer Frankfurter Bank und einem Münchener Unternehmen gehalten wurde.
Das weitere Schicksal der Firma Junker & Ruh ist ein besonders augenfälliges Beispiel des Strukturwandels der Wirtschaft, der in den 1960er Jahren einsetzte. Kleinbetriebe fielen dem Konkurrenzdruck zum Opfer und Großbetriebe unterlagen einem Konzentrationsprozess. Schon 1965 hatten die Brettener Neff-Werke, ein direkter Konkurrent, das nach wie vor ertragsarme Unternehmen Junker & Ruh mit etwa 1.600 Beschäftigen übernommen. Kurz darauf kam es wegen Änderungen der Akkordzeiten in der Gießerei zu wilden Streiks, die Firma stand kurz vor der Schließung. Da der neue Besitzer am Standort Karlsruhe keine Investitionen in neue, rentablere Fertigungsmethoden tätigen wollte, musste 1968 die Produktion in der ersten Rezessionsphase der deutschen Nachkriegswirtschaft endgültig eingestellt werden, "Tod in der 'Talsohle'" lautete die Schlagzeile einer Zeitung. Aber auch die Firma Neff, die sehr hohe Verbindlichkeiten von Junker & Ruh übernommen hatte, geriet dadurch in Schwierigkeiten und musste Ende 1968 zur eigenen Rettung die Firma AEG als Mehrheitsgesellschafter akzeptieren.
Vom einstigen Motor der Karlsruher Industrie blieb ein riesiger Hallenkomplex, 320 Meter lang, 120 Meter breit, der 1975 in Schutt und Trümmer gelegt wurden. Nach mehrjährigen Bemühungen um den Verkauf des Geländes, in die auch die Stadt Karlsruhe eingebunden war, wird es heute von Metro Cash & Carry, einem der ersten Märkte Karlsruhes, in dem ausschließlich Gewerbetreibende Waren unterschiedlicher Art für ihren Geschäftsbedarf einkaufen können, der Deutschen Telekom und der Firma Michelin genutzt. An das einst so stolze Unternehmen, das in seiner Blütezeit bis zu 3.000 Menschen beschäftigte, erinnert in Karlsruhe nur noch der Name Junker-und-Ruh-Straße und Junker-und-Ruh-Brücke.
Manfred Fellhauer, Dipl.-Finanzwirt (FH)