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Blick in die Geschichte Nr. 102

vom 21. März 2014

Carlsruher Blickpunkte

Gedenktafel für einen Geographen

von Manfred Koch

Anfang Juni 1927 tagte der Kongress der deutschen Geographen in Karlsruhe. Aus diesem Anlass organisierte die Stadtverwaltung nicht nur eine große geographische Ausstellung am Festplatz. Sie ließ zudem in der damaligen Lange Straße (heute Kaiserstraße) 123 eine Gedenktafel anbringen, die einem Mann gewidmet war, der das Fach Geographie maßgeblich beeinflusst hat. Dort nämlich wurde am 30. August 1844 Friedrich Ratzel in einem eingeschossigen Haus mit Mansarddach geboren. Die Tafel fand ihren Platz an dem mehrgeschossigen Nachfolgebau, an dem sie bis heute zu sehen ist.

Gedenktafel für den Geographen Friedrich Ratzel 2014
Gebäude Kaiserstraße 123 mit der Gedenktafel für Friedrich Ratzel 2014

Ratzel war der dritte Sohn eines Kammerdieners am großherzoglichen Hof. Seine 14 Kinderjahre verbrachte er nach seinen Erinnerungen wohlbehütet und mit früh erwachtem Interesse an der Natur, das zu ausgedehnten Wanderungen in den Rheinauen, im Kraichgau und auf dem Turmberg führte. Nach dem Besuch der Volksschule folgte ab 1858 eine Ausbildung zum Pharmazeuten in Eichtersheim (Kraichgau). Ein Studium konnten die Eltern nur ihrem Ältesten Karl finanzieren, der es zum Professor an der Karlsruher Kunstgewerbeschule brachte. Nur kurz bis 1865 arbeitete Ratzel u. a. in Zürich als Apotheker, holte 1866 in Karlsruhe das Abitur nach, um am Karlsruher Polytechnikum und an der Universität Heidelberg Zoologie und Geologie zu studieren.

Nach der rasch erfolgten Promotion 1868 in Heidelberg begab er sich auf eine Studienreise nach Südfrankreich. Zur Aufbesserung seiner Reisekasse schrieb er Berichte darüber für die "Kölnische Zeitung". Deren Erfolg machten Ratzel zum Reiseschriftsteller, der Siebenbürgen, Ungarn, den Alpenraum, Süditalien, die USA, Mexiko und Kuba bereiste, nur unterbrochen durch den Krieg 1870/71, in dem er als Kriegsfreiwilliger teilnahm. Die Beobachtungen und Eindrücke dieser Reisen flossen später in seine wissenschaftlichen Arbeiten ein. Mit der Habilitation 1875 an der TH München begann seine Karriere als Geograph zunächst als Professor in München und ab 1886 in Leipzig.

Die enorme Zahl von annähernd 1.300 Veröffentlichungen und das darin ersichtliche breite Interesse Ratzels erschweren eine klare Wertung seiner wissenschaftlichen Leistung. Einhellig gilt er jedoch als Begründer der Anthropo- oder Humangeographie und der Politischen Geographie. In seinen teils mehrbändigen und in mehreren Auflagen erschienenen Veröffentlichungen "Völkerkunde" (3 Bde. 1885-1888), "Anthropogeographie" (2 Bde 1882, 1891) und "Politische Geographie" (1897) befasste er sich mit der Wechselwirkung zwischen geographischem Raum und menschlichem Handeln, den Wanderungsbewegungen von Völkern und dem kulturellen Austausch. In seinen geopolitischen Untersuchungen, darin sah das "Karlsruher Tagblatt" vom 7. Juni 1927 seine zukunftsweisende Wirkung, ging Ratzel den Ursachen und Bedingungen für das Wachsen und Schrumpfen von Staaten nach. Der Wissenschaftler engagierte sich auch politisch als Mitbegründer des "Alldeutschen Verbandes", im "Verein für Flottenpolitik" und in der "Deutschen Kolonialgesellschaft", die allesamt für eine expansionistische deutsche Weltpolitik eintraten.

In einer "biogeographischen Studie" von 1901 prägte Ratzel den Begriff "Lebensraum". Diesen machten sich die Nazis, allen voran Hitler in "Mein Kampf", für ihre Forderungen nach "Lebensraum für das deutsche Volk" zu Eigen. Die Verzerrung seiner keineswegs kriegerischen Ideen durch die Nazis erlebte Ratzel nicht mehr. Er starb knapp 60-jährig 1904 in seinem Feriendomizil am Ammersee.

Dr. Manfred Koch, Herausgeber/Redaktion Blick in die Geschichte

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