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vom 21. März 2014
Sie lebte gegen die Konventionen ihrer Zeit: Einer von den Eltern angebahnten Ehe verweigerte sie sich, für ihren Lebensunterhalt sorgte sie selbst. Anna war eines von zehn Kindern des Rechtsanwalts Veit Ettlinger aus dessen zweiter Ehe. Ihr Vater gehörte zu den führenden Männern der Karlsruher jüdischen Gemeinde und wirkte als Gemeinderat 1849-1870 am Geschick der Stadt mit. In der bildungsbewussten, liberal geprägten und gastfreundlichen Atmosphäre des stattlichen Elternhauses in der Zähringerstraße 42 wuchs Anna Ettlinger auf.
Früh entwickelte sie "Lesehunger", den sie in den häuslichen Bücherregalen und in der Hofbibliothek stillte. Ihrem Unterricht im Donakschen Institut, später die Viktoriaschule, bescheinigte sie rückblickend Oberflächlichkeit. Umso wichtiger wurde für sie die von den Eltern geweckte Liebe zum Theater und zur Musik, sie spielte Klavier und sang im Chor des Cäcilienvereins und des Philharmonischen Vereins. In den 1860er Jahren schloss sie Freundschaften mit den im Elternhaus verkehrenden Johannes Brahms, Clara Schumann, Karl Levi und Julius Allgeyer. Bei dem neuen Leiter des Karlsruher Gymnasiums, Professor Gustav Wendt, erhielt sie mit ihren Schwestern ab 1867 Unterricht in Literaturgeschichte. Von Januar bis Mai 1871 vertiefte sie ihre Studien durch Vorlesungen im Berliner Viktoria-Lyzeum und Anfang 1872 legte sie in Karlsruhe das Lehrerinnenexamen ab.
Zu dieser Zeit stand ihr Entschluss fest, ein selbstbestimmtes Leben zu führen. Sie blieb unverheiratet. Statt in der Schule zu unterrichten, begann sie nun, Kurse und Vorträge über Literatur und Musik zu halten und Kritiken zu veröffentlichen. Nach dem Tod des Vaters 1877 dehnte sie ihre Vortragstätigkeit weit über ihre nähere Heimat aus und trat bis zum Beginn des Ersten Weltkriegs u. a. in München, Hamburg, Antwerpen und Brüssel auf. Ihre eigenen Erfahrungen mit den als ungenügend empfundenen Bildungsmöglichkeiten für Mädchen machten sie zu einer entschiedenen Förderin des ersten deutschen Mädchengymnasiums in Karlsruhe. Gleichberechtigung aktiv fordernden Frauenrechtsorganisationen schloss sie sich jedoch nicht an, anerkannte aber später deren Notwendigkeit für den Emanzipationsprozess.
1921 ließ sie ihre Lebenserinnerungen drucken, die sie für die Familie verfasst hatte. Im Wesentlichen aus ihnen schöpfen wir unserer Kenntnis über sie und ihre weitverzweigte Familie. 2011 neu aufgelegt, erweist sie sich darin als emanzipierte Frau mit einem kritischen Blick auf Literatur und Musik, aber auch politische Ereignisse ihrer Zeit. Zugleich bietet sie einen einzigartigen Blick auf das bürgerlich-kulturelle Leben in Karlsruhe zwischen 1850 und 1914. Anna Ettlinger starb 93-jährig in Karlsruhe, sie liegt auf dem jüdischen Friedhof begraben.
Dr. Manfred Koch, Herausgeber/Redaktion Blick in die Geschichte